Der Wunsch eines Musikers für seine nächste Beziehung

Trübe Miene, verquollene Augen und es regnet. Kann ich trotz Liebeskummer auf ein Konzert gehen? Der Blick in den Spiegel verrät: Ich habe die Ablenkung bitter nötig. Das Ticket ist eh bezahlt und ehrlich gesagt, hatte ich mich schon vor Monaten (vor dem Liebeskummer) auf das Konzert gefreut. Also los!

Das Aufraffen zahlt sich aus. Der Indie-Pop tut gut. Der Sänger spricht mir bei seiner Anmoderation aus der Seele: „Lernt euch lieber auf Konzerten als auf Tinder kennen!“ Ich wittere die Geschichte eines Leidensgenossen. Ein paar Tage später stelle ich eine Interviewanfrage und habe Glück.

Die große Überraschung: Keiner der vier Bandmitglieder, die übrigens zwischen 23 oder 24 sind, hat bislang Tinder genutzt. „Lucky you“, rutscht es mir heraus. Lukas* vermutet, dass die Jungs der Band dafür alle zu romantisch sind. Er sieht sich aktuell nicht gerade als den besten Gesprächspartner. Wegen Liebeskummer. Vor zwei Monaten endete seine letzte Beziehung, an deren Zukunft und Gelingen er sehr geglaubt hat.

Wie ätzend. Das wusste ich nicht. Ich fühle einen Kloß im Hals.
„Das tut mir leid“, ich versuche etwas Positives zu fokussieren: „Hilft denn da so eine Band?“

Lukas nickt. „Auf jeden Fall! Wir kennen uns schon sehr lange und sind füreinander guter Support.“ Für intensives Trauern ist während der Tour jedoch wenig Zeit. „Im letzten Jahr haben wir 100 Konzerte gespielt. Ich habe da irgendwie einfach funktioniert.“

Weitermachen, also. Ein altvertrautes Lied.

„An sich sind eure Songs doch aber eher fröhlich? Ist das dann nicht schwierig, wenn man gerade Liebeskummer hat?“

„Die Songs sind gar nicht alle so fröhlich. Viele unserer Songs erzählen traurige Geschichten, die aber in eine positive Energie umgewandelt werden.“ Er nennt ein Beispiel. In Gedanken gehe ich den Songtext durch. Stimmt. Die Transformation von Einsamkeit zu Fröhlichkeit funktioniert. Was für ein schönes Ziel, Menschen durch Musik aufzuheitern.

„Was hilft aus deiner Sicht bei Liebeskummer?“

„Sich mit der Trauer und sich selbst auseinanderzusetzen. Sei es mit oder durch Musik, Gespräche oder in Gedanken.“ Dabei finden Lukas und ich es beide schwierig an die „echte Trauer“, die schmerzhaften Gefühle, die mit dem Verlust eines geliebten Menschen einhergehen, heranzukommen. Echte Trauer bereinigt unserer Erfahrung nach und schenkt uns neue Kraft. Zugleich erfordert es viel Mut, sich dieser Verzweiflung bewusst auszusetzen. Da ist wesentlich einfacher, sich dem eigenen Selbstmitleid und einer lethargischen Gleichgültigkeit hinzugeben.

„Hatte die letzte Trennung etwas mit dem vielen Unterwegssein zu tun?“

„Klar. Auf Tour sein ist nicht gerade beziehungsfreundlich. Ich glaube an das Funktionieren eines klassischen Beziehungsmodells, an monogame Liebe. Auch wenn es diesmal nicht geklappt hat. Ich habe den Glauben an die wahre Liebe nicht verloren.“

Ein klassisches Beziehungsmodell bei 100 Konzerten im Jahr scheint schwer möglich, denke ich. Man bräuchte jemanden, der irgendwie immer dabei ist, und sich dabei trotzdem selbst verwirklicht.

„Aus meiner Sicht ist es die größte Herausforderung, in den großen Gefühlsteich zu springen und zu schwimmen, ohne sich darin zu verlieren. Also zu wissen, wie man wieder an Land kommt.“, führt er seinen Gedanken fort.

„Geht das denn?“, frage ich ihn und mich. „Ist das wirklich die Lösung oder eher ein Kompromiss?“

Mein Gegenüber lächelt mich ratlos an. „Keine Ahnung. Man muss auf jeden Fall wirklich in dem Gefühlsteich schwimmen und nicht irgendwie mit einem Boot darin rumfahren. Nur nicht so ganz ungeschützt. Vielleicht mit einer Badehose oder so.“

„Love like you’ve never been hurt before“, – der Satz eines Posters, das ich vor einer Zeit gesehen habe, drängt sich mir auf. Was ist denn nun das Ziel? Liebe mit Schutzschild oder absoluter Kontrollverlust?

In der Musik der absolute Kontrollverlust. Das ist etwas, was die Band glücklich mache. Wenn die Leute vor der Bühne tanzen und loslassen. Dann sei die Band mit dem Publikum verbunden und Barrieren würden durch Musik durchbrochen.

Stimmt. Rührt mich ein Kinofilm zu Tränen bin ich von der Story meist sehr ergriffen. Und ich fühle mich mit dem heimlich schluchzenden Sitznachbarn auf besondere Weise verbunden.

„Fändest du es erstrebenswert, dass ein Song von euch ein ganzes Publikum so richtig zu Tränen rührt?“

„Auf jeden Fall“, Lukas nickt. „Das ist aber wohl eher unrealistisch.“

Warum eigentlich? Wir geraten ins Philosophieren: Lustig machen ist leichter als ernsthaft Gefühle zuzulassen. Verletzlichkeit ist ein Schatz, den wir gut unter Verschluss halten. Dabei würden wir ganz sicher eine ähnliche Verbundenheit wie im Kino spüren, wenn der Typ neben uns auf einem Konzert bei einem melancholischen Lied auch ein paar Tränen verdrückt. Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass jemand neben uns einen blöden Spruch reißt, um die Stimmung aufzuhellen und wir mit ihm gemeinsam über unsere Rührseligkeit witzeln. Eigentlich schade. Obwohl wir Selbstironie beide als wahnsinnig bereichernd und gesund erleben. Suchen wir etwa den goldenen Mittelweg?

Die Bereitschaft zum Ausleben von traurigen Gefühlen scheint in jedem Fall geringer. Sich von einem positiven Gefühl mitreißen zu lassen gewollter. Oder fällt es uns bloß leichter, weil negative Gefühle weniger gesellschaftsfähig sind?
„Die Welt ist weichgespült“, findet der Musiker. Viel zu selten werden wir in der Öffentlichkeit mit aufrichtigen Gefühlen konfrontiert.“

Vielen Dank für deine Offenheit, Lukas!

*Name von der Autorin geändert

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